taz Köln Nr. 7506 vom Nov. 5, 2004
"Es muss was getan werden"
Ein neues Buch mit Berichten ukrainischer Holocaust-Überlebender
wurde von zwei Kölnern finanziert. Seit Jahren kümmern sie sich
um Versöhnung zwischen Deutschen und Nazi-Opfern
Von Thomas Spolert
"Nur wir haben überlebt - Holocaust in der Ukraine", Herausgeber:
Boris Zabarko, Herausgeber der deutschen Ausgabe: Margret und Werner Müller,
Dittrich Verlag, Köln 2004, 469 Seiten, 24,80 Euro, ISBN 3-937717-10-2
"Das sind Dokumente der Menschlichkeit", erklärt Boris
Zabarko. 60 Jahre nach der Befreiung von der deutschen Besatzung legte
der ukrainische Historiker jetzt eine der ersten Sammlungen von Zeitzeugenberichten
zum Holocaust in der Ukraine vor. Um die 86 erschütternden Zeugnisse
als Buch zu veröffentlichen, bekam er Hilfe von dem Kölner Ehepaar
Margret und Werner Müller. Das Paar, das Herausgeber der deutschen
Ausgabe des Buches ist, finanzierte aus eigener Tasche die Recherche von
Boris Zabarko und bezahlte auch die Übersetzung. "Dies ist auch
ein Buch von den Müllers", betont Zabarko daher bei der Vorstellung
des Sammelbandes am Mittwoch Abend im Lew-Kopelew-Forum. "Ohne sie
wäre das Buch weder in seiner russischen noch in seiner deutschen
Fassung möglich gewesen."
Dem Historiker Zabarko war bei einem internationalen Menschenrechtskongress
1993 in Wien aufgefallen, dass in der Geschichte des Holocaust eine eklatante
Lücke klafft. "Die dort vorgelegte Enzyklopädie enthielt
wenig Fakten zur Verfolgung der Juden in der ehemaligen Sowjetunion",
erzählt der Hochschullehrer. Dabei ermordeten die Nazis und ihre
Helfer allein in der Ukraine über 1,5 Millionen Juden. Doch nichts
erinnerte bis in die 90er Jahre daran. Jahrzehnte lang war das Thema in
der Sowjetunion ein Tabu.
Daher beschloss Zabarko, der selbst als kleiner Junge das Ghetto von
Schargorod bei Kiew überlebte: "Es muss was getan werden."
Mehr als fünf Jahre sammelte er in der Ukraine Zeugnisse minderjähriger
Ghetto- und KZ-Häftlinge. "Die Interviews waren sehr kompliziert",
berichtet Zabarko. Einige Überlebende seien zusammengebrochen, als
sie das erste Mal ihre Erinnerungen preisgegeben hätten.
Das Kölner Ehepaar Müller traf Boris Zabarko erstmals 1996
bei einem Treffen von Ghetto-Juden aus Kiew mit Warschauer Leidensgenossen
in der polnischen Hauptstadt. "Mich haben die Grußworte der
Organisatoren dieses Treffens sehr erstaunt", schildert Zabarko seinen
damaligen Eindruck von den Müllers. Sie hätten von den "unfassbaren
Verbrechen", die sie mit "tiefem Schmerz und tiefer Scham"
erfüllten, gesprochen. So habe er Vertrauen gefasst und sich mit
seinem Buchprojekt an das Ehepaar gewand.
Tatsächlich setzen sich Margret und Werner Müller seit Jahren
aktiv für die Versöhnung zwischen Deutschen und ehemaligen KZ-Häftlingen
und Ghetto-Überlebenden ein. "Wir haben beide eine Verbindung
zum Thema", erklärt Margret Müller, denn ihre Kindheit
sei durch den Krieg geprägt gewesen. "Wir sind im 3. Reich erzogen
worden", erklärt die gebürtige Kölnerin. Daher hätten
sie und ihr Mann diese Zeit immer interessiert und kritisch betrachtet.
Seit zehn Jahren sind beide Kölner aktiv im Maximilian-Kolbe-Werk.
Die Einrichtung in Freiburg organisiert seit mehr als drei Jahrzehnten
die Begegnung mit Holocaust-Überlebenden.
Das Ehepaar macht seither regelmäßig Krankenbesuche bei ehemaligen
KZ-Häftlingen in Polen und leitet Gruppen von Holocaust-Überlebenden,
die nach Deutschland eingeladen werden. Außerdem gehen die Müllers
mit Zeitzeugen in die Schulen. "Wir hatten damals große Angst
vor der ersten Begegnung", gesteht Margret Müller den Beginn
ihrer Versöhnungsarbeit. Um so mehr habe sie die Hoffnung und das
Vertrauen der Holocaust-Überlebenden in die Deutschen erstaunt. Heute
erfüllt dieses Engagement ihr Leben. "Uns verbindet ein starkes
Band."
|
translation by babelfish, tweaked by hm
"Something must be done"
A new book with reports of Ukrainian Holocaust survivors was
financed by two Cologners. For years they worry about reconciliation between
Germans and Nazi victims
by Thomas Spolert
"Only we survived - Holocaust in the Ukraine", Publisher: Boris
Zabarko, edited by: Margret and Werner Mueller, Dittrich publishing house,
Cologne 2004, 469 pages, 24.80 euro, ISBN 3-937717-10-2
"These are documents of humanity", explains Boris Zabarko.
The Ukrainian historian submitted 60 years after the release from the
German crew now one of the first collections from historical witness reports
about the Holocaust in the Ukraine. In order to publish the 86 moving
documents as a book, he got assistance of the Cologne married couple Margret
and Werner Mueller. The pair, which is publisher of the German edition
of the book, financed the research of Boris Zabarko from own pocket and
paid also the translation. "This is also a book of the Muellers",
stresses Zabarko therefore when he presented the anthology on Wednesday
evening in the Lew Kopelew forum. "Without them the book would not
have been possible in its Russian nor in its German version."
Historian Zabarko noticed at an international congress of human rights
in 1993 in Vienna that in the history of the Holocaust a striking gap
gapes. "The encyclopedia contained few facts on the persecution of
the Jews in the former Sowjetunion", tells the university teacher.
The Nazis and their helpers murdered alone in the Ukraine over 1.5 million
Jews. But nothing reminded into the 90s of it. For decades the topic was
taboo in the Soviet Union.
Therefore decided Zabarko, who as a small boy survived the Ghetto of
Schargorod near Kiew: "Something must be done." For more than
five years he collected in the Ukraine documents of Ghetto and KZ under
age prisoners. "The interviews were very complicated", reports
Zabarko. Some survivors broke down, when they would have revealed the
first time their memories.
Boris Zabarko met Cologne married couple Mueller for the first time 1996
with a meeting of Ghetto Jews from Kiew with their Warsaw counterparts
in the Polish capital. "The greeting words of the supervisors of
this meeting surprised me" very much," Zabarko describes its
impression at that time of Mueller. They spoke about the "unimaginable
crimes", that filled them with "deep pain and deep shame."
Thus he worked up his courage and took his book project to the married
couple.
Margret and Werner Mueller actively worked for years for the reconciliation
between Germans and former KZ prisoners and Ghetto survivors. "We
have both a connection to the topic" explains Margret Mueller, because
her childhood was shaped by the war. "We were in the 3. Reich educated",
explains the native resident of Cologne. Therefore she and her husband
have always been interested and critically regarded this time. For ten
years both Cologners were active in the Maximilian Kolbe work. The institution
in Freiburg organizes a meeting with Holocaust survivors for more than
three decades.
The married couple since that time regularly visits to sick former KZ
prisoners in Poland and leads groups of Holocaust survivors who are invited
to Germany. In addition Muellers go with historical witnesses into the
schools. "We had at that time large fear before the first meeting",
Margret Mueller confesses about the beginning of her reconciliation work.
The more surprised they were by the hope and confidence the Holocaust
survivors had about Germans. Today this commitment fulfills thier lives.
"We are connected by a strong bond." |